Zur Ausstellung „BeDINGungen“ im Haus der Region, Hannover, 15.6.-13.7.2006 Dr.Beatrix Nobis

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Das Ding und seine Verwandlung

Den großen Favoriten der Gegenwartskunst, der Objektinszenierung und der Fotografie, hat die Malerei eines voraus: Sie kann den Gegenstand, den sie sich zum Thema nimmt, im Prozess des Abbildens neu erfinden, ihn manipulieren, beiseite schieben oder prominent fokussieren, und ihm damit eine Bedeutung zuweisen, die ausschließlich der künstlerischen Überlegung unterliegt. Die Dinge in der Malerei entwickeln nicht das, was in der Installation mit ihrem Anspruch, den realen Gegenstand zu transfigurieren, von so entscheidender Wichtigkeit ist: Ihre Wirkung und Überzeugungskraft entfalten sie weniger aus ihrer Präsenz, ihrem Dasein als gefundenes oder gestaltetes Objekt, sondern aus der Neuformung durch das künstlerische Sehen und die von ihm geführte malende Hand. Trotzdem spielt die Auswahl der Gegenstände, ihre Isolation und die Beachtung, die ihnen geschenkt wird, eine entscheidende Rolle. Ursula Krämer richtet ihr Augenmerk nicht zufällig auf das vermeintlich belanglose häusliche Ambiente , auf Handtücher, Abflusssiebe oder Ausschnitte von Badezimmerinterieurs. Mit der Beobachtung des vertrauten Gegenstands, der unter völlig neuen Bedingungen betrachtet und festgehalten wird, erübrigt es sich, einen erzählerischen Kontext zu suchen, einen Sinn, der sich erst durch literarische oder theatralische Metaphern erschließen könnte. Die Dinge stehen für sich und in dieser Alleinstellung müssen sie ihren Anspruch festsetzen, den Blick des Betrachters auf sich lenken und das alte Spiel von der Verrätselung und Faszination des Gewöhnlichen neu beginnen.

Die Entfremdung vom Gegenstand und damit einhergehend seine Attraktion als geheimnisvolles „Anderes“, ist ein Phänomen des 20. Jahrhunderts, einer Epoche, in der eine Massenfertigung von Produkten einsetzte, deren größtes Problem es bis heute ist, sich ihrer wieder zu entledigen, wenn sie ihre Aufgabe erfüllt haben. Die Kunst hat, wie es Duchamp, Picasso und Beuys exemplarisch bewiesen haben, den Prozess der Gleichgültigkeit, die gegenüber dem Ding und seiner Tyrannei über den im wahrsten Sinne „Verbraucher“ aufkam, reversibel gemacht. Der Philosoph Martin Heidegger hat dies exemplarisch an den Bauernschuhen, die Vincent van Gogh in mehreren Variationen malte und zeichnete, nachgewiesen. Der „Ursprung des Kunstwerks“, so seine gleichnamige Abhandlung aus dem Jahre 1935, liegt nicht etwa begründet in der Raffinesse, mit der ein Ding virtuos nachgeahmt wird, auch nicht in seiner Kostbarkeit oder Rarität, sondern allein in dem, wovon es spricht. Das Ding repräsentiert den Menschen, dem es zu Nutze ist. Die Schuhe sind Stellvertreter der Arbeit, Mühsal und Kargheit des bäuerlichen Lebens, Symbole des sich Fügens in die Widrigkeiten der Natur und ihrer zähen Widerständigkeit.

Ursula Krämers Bilder zeigen deutlich, wie rasant sich unser Sehvermögen, die Adaption selbst komplizierter Ausschnitte und Zooms in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat. Ihr Blick ist nicht auf den Gegenstand als Teilhaber der realen Welt fixiert, sondern ihre Malerei treibt ein Spiel mit seinen Ausdrucksmöglichkeiten im Heranrücken und in der Freisetzung vom Nutzwert innerhalb der raumlosen Ebene der Bildfläche. Absichtsvoll werden solche Dinge gewählt, die in der Regel nur am Rande der Aufmerksamkeit liegen. Doch da sie nicht mehr in einen Kontext einzuordnen sind, sie nur beiläufig erahnen lassen, welcher Ort ihnen zuzuordnen ist, müssen sie sich den Anforderungen der malerischen Aneignung beugen. Sie werden verfügbar gemacht und in dieser Verfügbarkeit, die jede Distanz und Fremdheit bereinigt, gewinnen sie eine Dynamik und ein geradezu luxuriöses Eigenleben, das eine verblüffende Wirkung auf den Betrachter hat. Eine geradezu exquisite Nobilität äußert sich in den aufgefächerten Sieben, den in sanften Wellen gestapelten Handtüchern, den in tiefem Grün ihr Innerstes nach außen wendenden Blättern der Monstera-Pflanze. Schwingend und anmutig pendeln Taschen und Lampen im planen Nichts der Farbe, ein wenig unheimlich, weil niemand ihnen, den schlichten Dingen, eine solche Charakterfülle und Präsenz zugetraut hätte. Als sei auch ihr diese Fähigkeit des Gegenstands, sich außerhalb und unabhängig von seinem Gebrauchswert kraftvoll zu behaupten, nicht ganz geheuer, greift Ursula Krämer bisweilen zu einem Kunstgriff, der ihre künstlerische Dominanz über den Prozess der Gestaltung demonstriert. Kleine, wie zufällig gesetzte Farbfelder werden auf die Bildflächen gesetzt, als ein Zeichen der Überlegenheit über die vom Menschen geschaffene Formenwelt, als Willen zur Auslöschung und doch letztlich als ein versöhnliches Abgleichen zwischen den fest umrissenen Objekten und einem subjektiv und spontan sich aufbauendem Volumen, das ausschließlich der freien Erfindung des abstrakten Denkens entstammt. Beatrix Nobis

Zur Ausstellung „BeDINGungen“ im Haus der Region, Hannover,
15.6.-13.7.2006
Dr.Beatrix Nobis